Seit 1558 tätig für Menschen in Not
Mit Unterstützung der Gräfin Anna gründete Johannes á Lasco im Jahre 1558 die Diaconie speziell zur Unterstützung der nach Emden gekommenen Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden.
Anfang des 16. Jahrhunderts gab es eine fortschreitende Bildung der bürgerlichen und bäuerlichen Schichten. Die Schaffung neuer Schulen für den Mittelstand, und der immer mehr Verbreitung findende Buchdruck ermöglichten diesen Bevölkerungskreisen eine bessere Bildung, förderten dadurch aber auch eine viel kritischere Betrachtungsweise der Kirche und damit mehr Aufgeschlossenheit für ihre Erneuerung. Das waren die wesentlichen Gründe für die beginnende Reformation, die von der bisherigen alleinherrschenden Kirche vehement bekämpft wurde.
Man kann sich heute kaum noch vorstellen, mit welcher Grausamkeit diese neue Glaubensrichtung von der bisherigen Kirche verfolgt und bekämpft wurde, und mit welch bewunderungswürdiger Festigkeit diese „Ketzer” an ihrem neuen Glauben festhielten und Vertreibung und Armut hierfür in Kauf nahmen.
In der Mitte des 16. Jahrhunderts kamen daher sehr viele Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden und aus Flandern nach Emden. Man spricht von etwa 8000 Flüchtlingen, die hier Zuflucht fanden. Und das bei einer Einwohnerzahl Emdens von ebenfalls etwa 8000 Menschen!
Das Zahlenverhältnis zwischen den Einwohnern und den Flüchtlingen zeigt, mit welcher Bereitwilligkeit die vertriebenen Glaubensbrüder in Emden aufgenommen wurden. Die Armenpflege, die damals in den Händen der Kirche und der Zünfte lag, war mit dem Zuzug so vieler Menschen jedoch hoffnungslos überfordert.
Da aber unter den Flüchtlingen nicht nur Unbemittelte waren, gründete man mit Genehmigung der Gräfin Anna eine eigene Diaconie, nämlich die „DIACONIE DER FREMDLINGEN ARMEN”.
Die bisherige „Hussittende Diaconie” versorgte weiterhin die heimischen Armen, während die „Fremdlingen Diaconie” mit Unterstützung der Bevölkerung und der wohlhabenderen Flüchtlinge die Mittellosen unter den Glaubensflüchtlingen unterstützen sollte.
Wegen der sprachlichen Nähe zwischen dem Niederländischen und dem Niederdeutschen gründeten die Glaubensflüchtlinge aus den Niederlanden in Emden keine eigene Gemeinde, wie etwa die französisch sprechenden Hugenotten. Diese gründeten 1554 die „französisch-reformierte Gemeinde”, die mit einem eigenen Pastor bis 1897 in Emden selbstständig war und auch an der französischen Sprache festhielt.
Die niederländischen Flüchtlinge dagegen schlossen sich der bestehenden reformierten Stadtkirche an, die ihnen ja auch theologisch und sprachlich verwandt war.
Johannes á Lasco schrieb damals an seinen Freund und Mitstreiter Albertus Hardenberg in Bremen:
„Wir sind hier alle so aufgenommen, da es bei den nächsten Verwandten nicht liebevoller hätte geschehen können. Alle angesehenen Männer des Landes sind so besorgt um die Kirche, dass ich ihren Eifer, ihre Freundlichkeit, ja auch ihre Freigiebigkeit nicht genug preisen kann. Wir sind in ein gemeinsames Vaterland gekommen.”
Bezeichnend ist auch die Polizeiverordnung der Gräfin Anna von 1545:
„Wenn jemand, der nur wegen seines Bekenntnisses zum Evangelium vertrieben ist, um Aufnahme bittet, so soll man ihm diese nicht verweigern, damit Stadt und Land sich an Einwohnern mehre”.
Emden, begünstigt als neutraler Hafen zwischen den Fronten, nahm einen ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung. Reeder, Kaufleute und Handwerker brachten Kapital, wirtschaftliche Verbindungen und das nötige „Know how” mit. In diese Zeit fällt der Rathausbau, die Erweiterung der Stadt um den Vorort Faldern und im 17. Jahrhundert der Bau der Wallanlagen als Verteidigungsring um die Stadt, der Emden vor den Folgen des 30-jährigen Krieges verschonte.
Der erbitterte Streit zwischen dem Adel und der Bürgerschaft um politische aber vor allem auch religiöse Macht führte zur Emder Revolution von 1595. Keimzelle war die Große Kirche, auch „Moederkerk” genannt.
Nach dem Rückzug der Spanier aus den nördlichen Niederlanden und der Groninger „Reductie”, dem Waffenstillstand, kehrte der größte Teil der Flüchtlinge in ihre Heimat zurück. Aus Dankbarkeit für das gewährte Asyl errichtete man an der Großen Kirche das heute noch erhaltene „Diaconen-Tor” mit dem „Schepken Christi” und der Umschrift „Godts Kerck vervolgt verdreven heft Godt hyr Trost gegeven”.
Damit wäre eigentlich der Zweck der Fremdlingen-Diaconie erloschen. Aber zwei Pestwellen, die Folgen des 30-jährigen Krieges, Sturmfluten, Teuerungen, wirtschaftliche Rückschläge und anderes ergaben immer wieder einen Grund, weiterhin tätig zu sein.
Und so hat die Diaconie der Fremdlingen Armen über die Jahrhunderte hinweg immer Veranlassung gehabt zu helfen.
Selbst in der Zeit des Nationalsozialismus widerstand sie den Gleichschaltungs-Bestrebungen der NS-Volkswohlfahrt.
Nach dem letzten Kriege und der Währungsreform war die Arbeit der Diaconie gänzlich zum Erliegen gekommen. Erst 1954 gelang ein neuer Anfang zum Wohle der bedürftigen Bürger Emdens in alter Tradition.
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